Mit Marinello im Engrosmarkt Zürich

Für Gemüse gehe ich wann immer möglich gleich zum Bauern. Ich bin in dieser Hinsicht zwar die Ausnahme, aber das Bedürfnis nach regionalen Lebensmitteln besteht bei vielen Konsumenten. Doch kann die Schweizer Landwirtschaft die heimische Nachfrage sättigen? Gerade im Winter oder Frühling ist das regionale Angebot meist auf Lagersorten beschränkt. Längst wollen Herr und Frau Schweizer selbst im Januar nicht mehr auf Tomaten, Gurken oder Peperoni verzichten. Und wie steht es um die Zitrusfrüchte? Niemand würde auf die Idee kommen, grossflächig in der Schweiz Zitronen zu kultivieren. Aber diese Früchte sind seit Generationen Teil unseres Speiseplanes.

In Sachen Gemüse und Früchte erreicht der Selbstversorgungsgrad der Schweiz nicht einmal 50 Prozent (Quelle: Bundesamt für Statistik).

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Unweigerlich sind wir also vom Ausland abhängig.

Im Januar hatte ich die Gelegenheit, hinter die Kulissen des Gemüse- und Früchtehandels zu spienzeln. Ich bin der Einladung von Tiziano Marinello in den Engrosmarkt in Zürich Altstetten gefolgt.DSC_1922

 

Der Name Marinello ist uns Konsumenten wegen seiner Delikatessenlädelis ein Begriff, die kürzlich vom Grossverteiler Migros aufgekauft wurden. Es existiert aber noch ein zweites, rechtlich unabhängiges Unternehmen namens Marinello+Co, das weiterhin als Gastrolieferant in der Umgebung von Zürich tätig ist. Dessen Geschäftsführer ist Tiziano.

Mein Wecker klingelte bereits um 4 Uhr morgens. Eine halbe Stunde später irrte ich schlaftrunken mit dem Mietauto durch die leeren Strassen von Zürich. Bei meiner Ankunft um 5 Uhr morgens neigte sich der tägliche Gemüse- und Früchtehandel in der Engrosmarkthalle schon fast seinem Ende zu. Der Handel öffnet um halb 2 Uhr morgens. Der Zürcher Engrosmarkt ist eigentlich nur für Lieferanten und Geschäftskunden wie etwa Grossisten, Detaillisten, Marktfahrer oder Gastronomen zugänglich. Hier wird bis zu 90 Prozent des in Zürich verkauften Gemüses und Früchte abgewickelt und anschliessend zu Restaurants oder zu den Geschäften chauffiert. Zur Schweizer Erntesaison verkaufen vor dem Gebäude auch lokale Produzenten direkt ihre Ware. Zur Zeit meines Besuches war aber Januar. Das meiste Gemüse kam per Camion in die Schweiz. In den Anfängen der Markthalle vor über 60 Jahren verpflichteten sich eine Handvoll italienischer Familien, alles per Bahn zu importieren. Das ist heute nicht zuverlässig genug. Die Lieferfristen sind sehr kurz. Gestern bestellt, ist die Ware am Morgen in Zürich.Collagen8

Mit Winter hätte ich mir nicht die beste Zeit ausgesucht, so Tiziano. Zusammen mit ihm schlenderte ich von Händler zu Händler. Viele sind Italiener und schauten mir kleinen Blonden gespannt zu, wie sie Zitrusfrüchte oder allerlei Wintergemüse beäugte. Tiziano erklärte, sprang von einem Produkt zum Nächsten. Ich hatte Mühe, Schritt zu halten.

Tiziano beschrieb sich selber als keinen dieser „Schöngeister“. Ein kleiner Seitenhieb auf Menschen wie mich, die regelmässig mit dem Velo und Weidekörbchen zum idyllischen kleinen Bauernhof radeln. Tiziano verkauft, was nachgefragt wird. Doch er möchte gute Produkte verkaufen. Wir probierten eine Birne. „Schmeckst du’s?“,  fragte er mich. Er seufzte. Die Leute wollen die schönen grünen Birnen, aber das sind nicht die, die so aromatisch sind. An einem anderen Stand probierten wir Mandarinen aus dem italienischen Paternò. Wow: Flashback in meine Kindheit. Ich hatte vergessen, wie echte Mandarinen schmecken. Sie haben unzählbar viele Kerne und lassen sich deshalb schwer verkaufen. Ein ähnliches Schicksal erleidet auch die Bitterorange. Ich war wie ein Kind im Spielwarenladen. Ich schnupperte an einer Buddhas Hand. Das ist eine Zitrusfrucht mit einer sehr ungewöhnlichen Form. Wir gingen weiter zu einem Händler mit Wurzelgemüse. Ein französischer Produzent aus Avignon hat sich auf spezielles Anden-Gemüse spezialisiert. Ich verliebte mich in die Zimtkartoffeln. Ob ich die Kerbelwurzeln kenne. Etwas überschätzt, meinte Tiziano. Er fände Pastinaken und Sellerie geschmacklich am interessantesten. Ich gab ihm Recht.

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Zimtkartoffel
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Kerbelwurzeln

Wir schauten uns die Flugware an: Mangos aus Übersee. Es gäbe auch Schiffsware. „Willst du eine gute Mango, dann leistest du dir Flugware“. Darauf wusste ich nichts zu erwidern. Da hat er wohl irgendwie recht.

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Trotz der Jahreszeit war alles erhältlich: Erbsen, Spargeln, Auberginen, Sommerbeeren. Was der Kunde halt wünscht. Nicht notwendigerweise teurer oder geschmacklich schlechter als zur Schweizer Erntesaison. Aber aus meiner Sicht ökologisch in Frage zu stellen. Tiziano schaute mich kritisch an. Es sei alles nicht so einfach. Ich suchte mit den Augen die Stände nach Gurken ab – es waren nur wenige Harrassen gefüllt mit dem Sommergemüse vorrätig. Im Winter seien das meist Streckengeschäfte aus den holländischen Gewächshäusern direkt zum Kunden. Das werde im Moment gar nicht via Engrosmarkthalle geliefert. Ach so. Ich begann über den dummen 08/15-Konsumenten zu schimpfen, der keine Jahreszeiten mehr kennt, und selbst im tiefsten Winter möglichst billiges Sommergemüse essen will. Tiziano sah das anders. Ein Stück weit forme der Handel auch die Nachfrage des Konsumenten. Ich dachte an die Händler, die uns Konsumenten schon ab Februar mit Spargeln und Erdbeeren (siehe auch hier) bombardieren, so dass wir zu Beginn der heimischen Erntesaison bereits vom Angebot gesättigt sind.

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Am Ende der Halle erreichten wir das Marinello-Abteil. Tizianos Unternehmen hatte sich unter anderem auf Sprossen und Kräuter spezialisiert. Zu der Zeit – ich wiederhole mich – halt nicht Saison. Im Winter kommt die Ware oft aus Israel. Ab Frühling wäre die Auswahl an Wild- und Wiesenkräutern grösser. Ich war fasziniert, dass diese Kräuter speziell gezüchtet werden. Aber es gibt wohl schlichtweg alles! Ich knabberte an Erbsensprossen und einem japanisches Kräutchen, das nach Kreuzkümmel schmeckt. Verblüffend.

Es war halb 7. Ende des Markttages. Tiziano lud mich noch auf einen Kaffee ein.

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