Gastbeitrag: Pinot-Rhein-Vertikale

Ich schreibe meist über regionale Lebensmittel. Da muss auch Schweizer Wein zur Sprache kommen. Seit den 90er Jahren wird zugunsten der Qualität weniger Menge produziert, so dass Schweizer Weine den internationalen Vergleich nicht scheuen müssen. Dies zeigte sich kürzlich auch an einer Verkostung von Pinot Noir in Zürich. Der Mitbewohner, langjähriger Liebhaber der Pinots aus der Bündner Herrschaft, machte die Degustationsnotizen:

Man sagt den Inuit nach, sie könnten zig Arten von Schnee benennen. Mir geht es bald so mit dem Regen. Nieselregen, Starkregen, Schlagregen, Dauerregen, Platzregen, Sprühregen, gewittrige Schauer – der “Sommer” 2016 bietet in dieser Hinsicht bislang so ziemlich das volle Spektrum. Während die anhaltende Schlechtwetterlage für die meisten von uns einfach eine Stimmungsvermieserin ist, stellt sie für die Landwirtschaft einen entscheidenden Faktor für Produktionsmenge und -qualität dar. So zeichnet sich bereits jetzt ab, dass viele Ernten heuer schlecht ausfallen werden. Besonders vielschichtig ist der Zusammenhang zwischen Wetter und Produkt beim Wein, wo neben Lage, Boden, Vinifikation und Lagerung eben auch Klima und Witterung einen entscheidenden Einfluss auf die Qualität haben.

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Der Mitbewohner verkostet Pinot Noir

Wie sich das Wetter auf den Wein auswirkt, konnten wir neulich an einer Vertikalverkostung des Pinot Rhein erleben, bei der die Jahrgänge 2006 bis 2013 zu degustieren waren. Pinot Rhein ist ein Gemeinschaftsprodukt von vier Weingütern in der Bündner Herrschaft, die jeweils ihre besten Pinot Noirs (Blauburgunder/Spätburgunder) zu einer Assemblage mit eben diesem Namen vereinigen. Spannend ist diese Vertikale nicht nur, weil man den unterschiedlichen Charakter der verschiedenen Jahrgänge direkt vergleichen kann, sondern weil die Winzer dazu berichten, unter welchen klimatischen Bedingungen sie entstanden.

Wobei ich vorwegschicken muss: Mein Gaumen ist ein ungebildeter Simpel. Wenn Weinhändler oder Sommeliers ganz hinten links im Gaumen “Noten von Johannisbeeren” ausmachen und der Wein “im Abgang etwas klebt”, können meine Geschmacksknospen und Geruchsrezeptoren (oder meine Vorstellungskraft…) zugegebenernassen nicht ganz mithalten. Mir fehlt das sensorische Training und das Vokabular, um all die komplexen Geschmacksnuancen benennen und beschreiben zu können. Aber für den Heimgebrauch reichen meine Sinneseindrücke gemeinhin.

Die Pinot-Rhein-Vertikale offenbart eine erstaunliche Qualitätsvielfalt: 2006 und 2010 waren beispielsweise eher kühle, nasse Jahre, der Wein dadurch weich und rund, voller unverkennbarer Pinot-Noir-Aromen; im Gegensatz dazu nimmt sich etwa der 2009er, entstanden in einem sonnigen, warmen Jahr, viel üppiger und vollmundiger aus. Ein Ausnahmejahrgang ist der 2013er: Die kalte Witterung während der Blüte hatte eine nur teilweise Befruchtung, kleine Beeren und mit weniger als 400 Gramm pro Quadratmeter einen tiefen Ertrag zur Folge. Die Maische enthielt daher viele Schalen im Verhältnis zum Saft; so entstand ein dunkler, kräftiger, voluminöser Wein, dem aber die typische Pinot-Aromatik etwas fehlt.

Warmes Jahr gleich guter Wein?

Schnell wird klar, dass die Losung “warmes Jahr gleich guter Wein” (oder übertragen aufs Bündner Rheintal: je Föhn, desto besser) zu kurz greift. Gerade der Pinot Noir benötigt ein eher kühles Klima, weshalb er die mit Abstand meistkultivierte Rotweinsorte der Schweiz ist. Die Auswirkung von Witterung und Temperaturen im Jahresverlauf auf die Aromatik ist äusserst komplex und macht deutlich, wie wertvoll das Wissen eines erfahrenen Winzers ist. Die verschiedenen Witterungsbedingungen schlagen sich nicht zwangsläufig einfach in “guten” und “schlechten” Jahrgängen, sondern vielmehr in einer unterschiedlichen Charakteristik nieder, worauf der Winzer auch mit dem Vinifizieren noch Einfluss nehmen kann. In der Bündner Herrschaft ist leichter, konstanter Föhn optimal für die Reifung der Trauben. Zuviel Föhn und Wärme sind insofern ungünstig, als der Zuckeraufbau zu schnell vonstattengeht, worunter die Aromatik leidet. Hanspeter Lampert vom Weingut Heidelberg in Maienfeld meint denn auch, wenn sich die Klimaerwärmung fortsetze und die Durchschnittstemperaturen um ein halbes Grad stiegen, müssten sie auf eine andere Rebsorte umsteigen oder mit dem Pinot Noir an eine andere Lage umziehen. Womöglich ist dieser also in ein paar Jahrzehnten ein Fall für Pro Specie Rara?

Rebstock
Rebstock; Quelle: Weingut Heidelberg

 

Vorerst können wir uns jedoch noch auf viele wunderbare Pinot-Jahrgänge aus der Herrschaft freuen. Auch wenn es gewiss noch zu früh ist für eine Prognose (entscheidend sind vor allem der September und der Oktober), könnte der 2016er Pinot Rhein aufgrund der bislang nass-kalten Witterung durchaus ein typischer Pinot Noir werden. Ein Wetter zum Weinen? Aber ja!

Maienfeld
Maienfeld in der Bündner Herrschaft; Quelle: Weingut Heidelberg

 

Mehr Informationen zum Gemeinschaftsprojekt Pinot Rhein findet ihr unter pinotrhein.ch

oder direkt bei den vier Winzern:

Organisiert wurde der Anlass von Herzog & Vombach GmbH.