Auge in Auge mit der Geiss
Wenn wir über den Mittag schnell zum Take-away hetzen, fragen wir in der Regel nicht nach der Herkunft der brasilianischen oder ungarischen Pouletbrust im Thai-Curry. Die möglichen Antibiotika-Rückstände nehmen wir meist bereitwillig in Kauf. Beim Bratwurst-Stand ist uns in erster Linie wichtig, dass keine Innereien in der Wurst enthalten sind. Davor fürchten wir uns (auch wenn in Wahrheit nur noch Muskelfleisch verwurstet wird). Aber um die Chemie in der Wurst kümmern wir uns herzlich wenig.
Paradoxe Wahrnehmung
Ich könnte an dieser Stelle ein Rindssteak aus unbekannter (fragwürdiger) Herkunft verbloggen, und viele Leute würden sich eine Essenseinladung bei mir herbeisehnen. Nehme ich hingegen eine Innerei von einem gesunden Nutztier, welches sein Leben lang frei auf der Weide herumgehüpft ist, gutes Futter gefressen hat und mit möglichst wenig Medikamenten behandelt wurde, rümpfen wir die Nase. Diese Innerei kann noch so gut schmecken, sie wird als Abfall stigmatisiert.
Diese Wahrnehmung empfinde ich zunehmend als falsch, und ich kämpfe dagegen an.
Wie ich euch berichtet habe, war ich vor einiger Zeit zu Besuch auf einem Demeterhof. Mit dem Bauern, Cäsar Bürgi habe ich zusammen gewurstet und dafür unter anderem Köpfe seiner Ziegen ausgekocht.
Die Augen gelten in manchen Kulturen als Delikatessen. Ich habe in Marokko gesehen, wie sie auf dem berühmten Djemna el Fna ganze Schafsköpfe mitsamt den Augen serviert haben. Damals verspürte ich keinerlei Appetit auf diese Delikatesse. Für mich sind oder sagen wir besser waren Augen ein Tabuthema. Sie verdienen auch in Sachen Lebensmittelverschwendung nicht viel Aufmerksamkeit. Schliesslich ist ihr am Anteil am Schlachtgewicht vernachlässigbar.
Stossgebet und Regentanz
Wenn man aber schon einmal fertig zubereitete Augen verkosten kann, dann sollte man auch zugreifen. Es kostete mich trotzdem erhebliche Überwindung. Cäsar machte den Mund auf und schwups, waren sie weg. Bei mir begann die Verkostung mit Stossgebet und Regentanz. Erst danach fühlte ich mich Frau genug, um mir ein Scheibchen in den Mund zu schieben.
Die Augen werden von viel Fett ummantelt. Das schmeckt gut, verdeckt aber auch den Geschmack des Kerns.
Wie schmeckts?
Die Pupillen sind leicht gliberig oder sülzig und zum Teil auch etwas knorpelig. Man beisst auf dem Stückchen herum und erwartet etwas total Abscheuliches, einen über alle Massen eckligen Geschmack. Doch der Effekt tritt nicht ein. Das überraschte mich. Ein ähnliches Erlebnis hatte ich auch bei den Insekten.
Ob es mir wirklich gut geschmeckt hat? Ich weiss es noch nicht. Es ist eine Umstellung, eine komplett neue Ausrichtung der Essgewohnheiten. Das braucht auch bei mir seine Zeit.
Die restlichen Augen verfütterte ich an die Hofkatze, die sich mit gierigem Miau darauf stürzte. Die Allüren von uns Menschen sind ihr fremd.